Erstes Schulwiki zeigt wie wir vor Facebook das Internet als Pioniere ab 2000 in der Schule nutzten.

Referat Berufspolitik

Max A. Müller Präsident Lehrerinnen- und Lehrerverein Baselland 4102 Binningen http://www.lvb.ch

Referat Jahresversammlung Lehrerinnen und Lehrer Glarus 7. September 2005, Glarus

Sind wir auf dem richtigen Dampfer?

Ansichten zur Berufspolitik

DiskussionDampfer

Sehr verehrte Damen und Herren Liebe Kolleginnen und Kollegen

Wer den Routenplaner zu Hilfe nimmt, um von der Schule, die ich vor etwas mehr als zwei Stunden verlassen habe, zu Ihrem Bildungsdom zu gelangen, stellt fest, dass das exakt 153.75 Kilometer sind, locker ein Katzensprung. Und doch, und darauf muss ich Sie aufmerksam machen, komme ich von einem anderen Stern. Und unter diesem Vorbehalt sollten Sie einordnen, was ich ihnen in der nächsten guten halben Stunde erzähle. Alles ist überall anders. Was Sie von mir hören, dürfte Ihnen deshalb unmittelbar fremdartig vorkommen, weil bei Ihnen die Leute womöglich nicht so ticken, weil Sie andere Platzhirsche haben, weil Sie eine andere Sprache reden und weil bei Ihnen eine andere Postordnung gilt.

Wenn Ihre Verbandsführung trotzdem die Idee entwickelt hat, mich Ihnen heute vor-zuführen, dann sicher nicht, weil ich unentbehrliche Ratschläge mitbringen könnte, wie Sie Ihr Elend und Ihre Behaglichkeit möblieren sollen. In der Landschaft der schweizerischen Bildungs-Soziotope können wir nicht eins zu eins voneinander abgucken, dazu sind die Spielregeln zu verschieden, die Temperamente anders kon-struiert und die Player zu sehr nach den Spielregeln des Lokalkolorits aufgstellt. Einsichten in die generellen Problematiken unserer Berufe sind womöglich aber dennoch zu gewinnen, wenn ein unbelasteter Blick über den Zaun, in diesem Fall in die Raurachische Republik Basel-Landschaft, gemacht werden kann.

Dazu müssen Sie Folgendes wissen: Basel-Landschaft ist durch eine Revolution entstanden, freigeschossen haben sich wütende Bauern und Wirte anno 1833 von der Stadt und dabei mehrheitlich landschaftliche Söldner in städtischen Diensten totgemacht, das brauchte nicht viel, aber dennoch eine solide republikanische Ge-sinnung, und aus Steinen des Landvogtssitzes Farnsburg haben sich die Weinbauern ihre Keller gebaut. BL ist Revolutionsland – weit und breit sind keine Patrizier. Und zweitens: Dieser Kanton ist Einwanderungsland, spätestens seit den späten Fünf-ziger Jahren. Die halbe Schweiz und ein gut gemischter Teil der restlichen Weltbe-völkerung hat sich im unteren Kantonsteil niedergelassen und in diesen Bauern-kanton natürlich urbane Gesinnungen implantiert. Ein Drittes wäre zu bedenken: BL ist „Mir-wei-luege“-Land, und das ist wörtlich zu nehmen, wenn flammende Bekennt-nisse, wozu auch immer, in der Umsetzung in pragmatische Sympathieerklärungen zur lebensfreundlichen Philosophie mutieren, was man dann am Ende wirklich mache, lasse man sich sicher nicht durch die eigenen Beschlüsse vorschreiben.

Ich bin seit 24 Jahren in Verbandsgremien tätig, und mehr als die Hälfte davon leite ich den Berufsverband der Baselbieter Lehrerinnen und Lehrer. Ich habe fast 40 Unterrichtsjahre an der selben Schule drauf, das ist eine Sekundarschule. Die hat sich in dieser Zeit ständig so verändert, dass ich die Stelle nie zu wechseln brauchte, um mich durchgehend amüsiert und unterhalten zu sehen.

Obwohl ich keinesfalls die Absicht habe, hier eine Vivisektion der basellandschaft-lichen Bildungspandemien vorzuführen, werden die lokalen Realitäten natürlich immer ein wenig durchschimmern. Einiges wird für Sie fremd bleiben, weil es bei Ihnen gar nicht vorkommt. Dafür bitte ich um Nachsicht. Dennoch möchte ich fast wetten, dass Sie dann und wann Abläufe und Sequenzen wahrnehmen, die Ihnen irgendwie bekannt vorkommen.

Ganz sicher ist eins: Wir können nichts besser als Sie, und deshalb bin ich kein Apostel und deshalb ist, was ich hier vortrage, bescheiden nicht viel mehr als ein bisschen das Konzentrat meiner persönlichen Erkenntnisse, aber auch meiner Ge-schäftsleitung und meines Vorstands aus zweieinhalb Jahrzehnten Berufspolitik, und Sie ordnen das ein, wie es Ihnen richtig erscheint.

DiskussionDampfer

Ich werde meine Ausführungen unter die folgenden sechs Fragen stellen:

1. Was ist los an unseren Schulen?

2. Was bräuchte es stattdessen?

3. Soll man Sie lieb haben oder wollen Sie respektiert werden?

4. Wie stellen Sie sich als Lehrperson auf?

5. Wie setzen Sie Ihren Berufsverband in Betrieb?

6. Welcher Plot führt Sie in eine unterhaltsame Zukunft?

1. Was ist an unseren Schulen los? Die amerikanische Historikerin Barbara Tuchmann definiert in ihrem Werk „Die Torheit der Regierenden“ an Beispielen der grossen Politik das Paradigma, das in reduzierten Dimensionen auch im Bildungswesen abläuft: Das Phänomen, dass Re-gierungen und Regierende eine Politik betreiben, die den eigenen Interessen offen-kundig und weithin wahrnehmbar zuwiderläuft. Sie wird zwar als kontraproduktiv erkannt, und es gibt auch praktikable Alternativen dazu. Doch die verfehlte Politik wird von einer am Fortbestand des Wahns interessierten Gruppe betrieben und hat deshalb über die politische Laufbahn eines einzelnen Regierenden hinaus Bestand. Bezeichnend die Haltung eines solchen Herrschers: „Kein Fehlschlag seiner Politik“, heisst es, „vermochte seinen Glauben an ihre prinzipielle Vortrefflichkeit zu erschüt-tern.“

Exemplarisch zu besichtigen jenseits des Juras, und anderswo. Ob hier auch, müss-ten Sie selber beurteilen. So sieht mein Befund aus: Die Macht im Bildungswesen befindet sich in der Hand von Bildungstechnokraten und Pädagogen, die unbeein-druckt von den offensichtlichen Flops auf einer Weiterführung und Optimierung ihrer Rezepturen bestehen: Es funktionierte bisher nicht, womöglich wahr, aber dann nur, weil eben noch nicht das Vollbild der Heilsidee realisiert werden konnte. Also weiter statt stopp!

Die Beispiele für verfehlte Planungen, zum Beispiel auch in BL, sind Legion: Lehr-pläne, Zeugnisse, erweiterte Lehrformen, Stütz- und Förderunterricht, Durchläs-sigkeiten, Nachhilfe Basis und Nachhilfe Plus, möglichst heterogene multikulturelle Lerngruppen, Portfolios, Ermittlung von Selbst- und Sozialkompetenzen, Götti-systeme, Jokertage, Hitzefrei, Schülermitsprache, Hochbegabte Minderleister, Eltern-Klassenrat, Gender, Knabenunterricht, Tochtertage, aber - damit die Schule gleich ganz ausfällt - auch für Söhne: Heilsrezepte so weit das Auge reicht, und beinahe monatlich kommen neue dazu.

Da wird aufgepackt und aufgepackt - und unbemerkt von der Euphorie der Päda-gogen stürzen bei immer mehr Jugendlichen die Lernleistungen so dramatisch ab, dass ihre Eingliederung in eine weiterführende Ausbildung oder in eine Berufsbil-dung immer öfter scheitert. Warum müssen denn trotz teurer Bildung immer mehr Schulabgänger in „Brückenangebote“ und andere Auffang-Einrichtungen vermittelt werden?

Die Bildungsdirektoren machen die Luftnummer auf hohem Seile vor: Einmal wollen sie die Lehrerschaft retten, indem sie ein sündenteures Leitbild entwerfen lassen; das Interesse lässt dann aber sofort nach, als der Berufsverband auf konkreten und umsetzbaren Konditionen besteht. Jahrelang diskutieren sie an den Konzepten zur Einführung einer zweiten Fremdsprache herum - unbeirrt im Axiom, wo eine Fremd-sprache unterrichtet werde, würde sie damit auch schon gelernt. Die Erfahrungen mit Frühfranzösisch sprechen dazu eine deutliche Sprache. Warum jetzt nicht gleich auch noch Englisch aufpacken? Die Konzeptstudie für die Nordwestschweiz steht schon, das ist auf Jahre hinaus wieder sichere Arbeit in warmen Sesseln für Edelpädago-gen, die sich nicht in der Niederungen der Umsetzung tummeln müssen, muss ich deutlicher werden?

Im Moment sollen schweizweit die Schulsysteme harmonisiert werden, dabei ist das nächste Ausscheren des nächsten Besserwissers schon absehbar, und gleichzeitig grassieren in meinem Kanton, in dem Sie mit dem Auto nur einmal Gas geben und durch sind, unter dem Rubrum „Teilautonomie im Bildungsgesetz“ hundert kommu-nale, gutgemeinte Bildungssystemlein.

Nur für die simplen Konditionen für den Erwerb von Kulturtechnik und Grundwissen scheint sich niemand zu interessieren. Der Irrglaube, man müsse nichts wissen und nichts können, sondern das, was man nicht weiss, bei Gelegenheit nur rasch herbei-googeln können, ist offenbar nicht auszurotten. Klar erkennbar wird zu wenig instruiert, es wird zu wenig geübt und zu wenig angewendet, wenn jede Anstren-gung gleich „Stress“ heisst: in Althochdeutsch: Es wird zu wenig solide Arbeit ver-langt. Unterricht macht, bei uns jedenfalls, noch so gerne Attraktiverem Platz, der Kindergeburtstag ist vielerorts eine feste schulische Einrichtung, und hinten im Schul-zimmer steht das Schlafzelt, wo man sich vom Stress erholen kann, wenn man gera-de nicht lernen mag.

Bei Ihnen ist sicher ganz anders.

Dem arbeitenden Lehrpersonal erschliessen sich die Einblicke unmittelbar: Was vor wenigen Jahren in einem anspruchsvollen Unterricht noch möglich war, geht heute nicht mehr. Vor dem simplen Lesen, Schreiben, Sprechen und Rechnen türmen sich vor immer mehr Kindern und Jugendlichen die Hürden von Stress und Zumutung auf. Wort- und Textverständnis sind vielerorts im Keller, da fragt man sich, wie unter solchen Umständen etwa ein „Recherchieren im Internet“ erfolgreich sein soll.

Solche Befunde sind in drastischer Ausformung von vielen Lehrerinnen und Lehrern zu erhalten, sie sind naturgemäss subjektiv, müssen deshalb aber nicht unzutreffend sein. Der LVB tritt seit langem für eine korrekte und objektivierte Ermittlung der tat-sächlichen Lernerfolge ein. Die Resultate wären unverzichtbar für jede ernstzuneh-mende Bildungsplanung gewesen. Sie wären es noch.

DiskussionDampfer

2. Was bräuchte es stattdessen? Weil die es nicht tut, müssen wir jetzt auf den Tisch legen, was unsere Schülerinnen und Schüler tatsächlich lernen, und je nach Resultat kann das dann interessante Konsequenzen haben. Damit die Auseinandersetzung dazu nicht auf eine simple Kausalhaftung der Lehrperson hinauslaufen kann, braucht es vereinbarte professio-nelle Standards, wie auf möglicherweise enttäuschende Lernresultate zu reagieren ist.

Womöglich hat an einer ungeschönten Bestandesaufnahme zum Lernoutput unserer Schülerinnen und Schulabgänger aber doch kein Interesse, wer sich und seine Planerei mit einem unerfreulichen Resultat selber in Frage stellen müsste. Wo etwas so viel gekostet hat und wo so viel Herzblut drin steckt, muss es doch etwas genützt haben. Wenn man sich so in die Tasche lügt, steht am Ende das tabuisierte Axiom: „Sie können vielleicht etwas weniger“ - Originalton - „aber dafür sind sie alle so ungeheuer sozialkompetent.“ Dabei hat mein dreizehnjähriger sozialkompetenter Minderleister in der Klasse 1b soeben eine Schülerin arztreif gewürgt.

Damit auch das klar ist: Natürlich wird an unseren Schulen etwas gelernt. Zigtau-sende Lehrerinnen und Lehrer machen einen guten Job. Sie machen ihn aber bei weitem nicht immer unter besten Voraussetzungen. Und nicht selten wird gerade dort etwas gelernt, wo die erfahrene Lehrperson sich traut, nicht jeden modernen und von den Fachleuten für verbindlich erklärten Unfug mitzumachen. Damit dies möglich bleibt, braucht es weiterhin die Toleranzen und Freiheiten in der Unter-richtsgestaltung. Genau dort aber machen unsere Bildungs-Jakobiner gnadenlos die Löcher zu. Und ich wage jetzt die Frechheit: Unsere Schulen funktionieren erstaun-lich gut, nicht weil sie Bildungsplaner und Behörden haben, sondern obwohl. Weil bisher immer noch die weitaus meisten Lehrerinnen und Lehrer von sich aus und, einigermassen in Ruhe gelassen, eine gute Büez machen konnten.

Unser Berufsstand müsste daher ein elementares Interesse an einer Rückkehr zu den Realitäten haben. Zur Sprache bringen kann diese Problematik nur der Personal-verband. Legitimiert ist er durch die Erkenntnis, dass andernfalls die Tage der öffentlichen Volksschule gezählt sein werden. Nicht wenige Privatschulen können heute schon erfolgreicher sein, weil es direkt Vaters Geld kostet und weil diese Institute – von den Eltern verlangt und gestützt – lerngünstige Konditionen setzen und vor allem auch durchsetzen können. Während wir an bekifften Matschbirnen im Unterricht bald im Dauerbetrieb mentale Reanimation betreiben müssen, fliegt an einer Privatschule raus, wer zum ersten Mal bekifft erscheint.

Wenn unserem Berufsstand zum Thema Lernabstürze nicht bald etwas einfällt, werden wir über kurz oder lang ein Privatschulsystem bekommen, in dem sich die bildungsorientierten Kreise durch einen kleinen Aufpreis das angemessene Ausbildungsambiente sichern - schulisch und sozial. Dort werden dann die Chancen verteilt. Übrig bleiben wird als Restschule ein Aufsammelinstitut, für das die Bezeichnung „Volksschule“ eine neue pikante Bedeutung bekommt. Dann hat sich die demokratisch verfasste staatliche Volksschule abgemeldet - und wir sind zurück im Jahre 1806.

Alles nicht so schlimm? Erkundigen Sie sich demnächst doch einmal unverbindlich, unter welchen Konditionen Lehrpersonen an kommerziell geführten Privatschule ar-beiten.

Geradezu klassisch lief die Reaktion auf das desolate PISA-Ergebnis ab: Schock, Zweifel an der Relevanz der Daten, dann die Suche nach Schuldigen und zum Schluss das Beharren auf den anderswo längst abgelegten Rezepten: noch mehr individualisierter Unterricht, noch mehr Heterogenität in den Lerngruppen, noch mehr Angebot, noch mehr moderne Lernformen. Dazu die Reisli nach Finnland, die Modelle aus Dänemark, Holland und Schweden, der Bildungsgutschein, die freie Schulwahl und die notenfreie Schule. Unterdessen wird PISA auch in der Schweiz erfolgreich schön gerechnet: Nimmt man alle aus, denen eine Leistung nicht zuzu-muten ist, sind sogar wir Weltmeister.

Da die Bildungsplaner, die das alles angerichtet haben und verantworten, genau das nicht anpacken werden, müssen die Verbände den Punkt aufgreifen. Deshalb braucht es Ihren Verband.

DiskussionDampfer

3. Soll man Sie lieb haben oder wollen Sie respektiert werden? Dazu kommt: Die Lehrerschaft hat, meinen wir, 25 Jahre lang auf das falsche Pferd gesetzt. Sie glaubte, bei einem - weitgehend selber mitbetriebenen - Abbau an Res-pekt durch die Optimierung von beruflicher Leistung, Hingabe an die Aufgabe und Öffentlichkeitsarbeit das Wohlwollen der Öffentlichkeit zu erringen: „Wenn wir die Leistungen und Engagements der Lehrerschaft steigern und nur deutlich genug offen legen, muss sich die Anerkennung ja bald ganz von selber einstellen!“ Ein Beispiel? Was ist das für ein Lernparcours, an dem die Lehrerin 10 Stunden arbeitet und den der Schnösel in 8 Minuten durch hat?

Bitte schauen Sie sich in Ihrem beruflichen Umfeld um, was für Anstrengungen ausserhalb der Kernaufgaben des Unterrichts - und häufig genug zu dessen Lasten - unternommen werden: Die Schule kann alles und übernimmt alles und die Verant-wortung für den Erfolg erst noch mit: Elementarerziehung, Gesundheit vom Zäh-neputzen bis zum Diätplan, Gender in allen Variationen, Prophylaxe gegen Karies, Drogen und Telefoniersucht. Um diesen Ansprüchen gerecht zu werden, wird einfach Raubbau am Fachunterricht betrieben. Dass das keine gute Entwicklung ist, liegt auf der Hand, denn dabei geht es natürlich an den Kernbereich unserer beruflichen Leistungen - und damit unvermeidlich an unser berufliches Ansehen.

Zum andern: Sehen Sie sich moderne Lehrmittel an: sich anbiedernde Portiönchen für den kleinen Lernhunger, Appetizer und Amuse-bouches, aber bitte nur wenn man mag, versteht sich, im Deutschbuch ist mehr Bild als Text, und wenn die Konzen-tration länger als 60 Sekunden anhalten soll, wird es aber schon problematisch.

Zum dritten: Lernen soll zwanghaft immer Spass machen, damit es zumutbar bleibt, dann muss man sich dabei auch nicht anstrengen, und sollte sich einmal heraus-stellen, dass man sich doch anstrengen sollte, ist sicher der Lehrer schuld, dann macht der es nicht richtig, die Verantwortung für den Bildungserfolg hat er in Basel-land ja per Bildungsgesetz, es lachen die Hühnervögel, aber viele Lehrpersonen lachen nicht, die glauben nämlich, dass das auch so sein müsste.

Erstaunlich: Je intensiver eine motivierte Lehrerschaft sich bemüht hat, und das hat sie wahrlich: Es wird nicht zur Kenntnis genommen. Bestenfalls heisst es dann, mit Unterton: „Offenbar hat Frau B. auch dafür noch Zeit!“ In der Hoffnung, die Gesell-schaft müsse die Lehrerinnen und Lehrer doch endlich lieb haben, wenn diese ihre Leistungen nur maximal optimierten und unübersehbar offen legten, haben wir uns selber ein Bein gestellt. Das Ansehen unserer Berufe sinkt offensichtlich unbeein-druckt von unseren guten Taten unaufhaltsam auf neue historische Tiefststände.

Hören Sie sich an einem Stammtisch um. Klinken Sie sich unbemerkt in eine Diskus-sion von Politikern ein, wenn die Lehrberufe zur Sprache kommen: Man sagt hinter Ihrem Rücken unsäglich ungerechte und falsche Dinge über Sie als Lehrerinnen und Lehrer: Weicheier seien das, die immer jammerten, Burnout-Techniker. „Zwölf Wochen Ferien und dann erst noch nur die halbe Woche arbeiten!“ Sie sind schuld, wenn das Kind nicht gerne zur Schule geht! Sie sind schuld, wenn das Kind gerne zur Schule geht, aber dann nichts gelernt hat! Und Ihnen kommt man mit dem Anwalt vorbei, wenn es mit den erwarteten Bildungsanschluss nicht klappt.

Man verachtet diesen Berufsstand, wenn er sich dienstleistend anbiedert. Man res-pektiert ihn, wenn er seine Forderungen durchsetzt.

Die Lehrerschaft hat in den letzten dreissig Jahren die Bedeutung von Respekt und Macht wohl unterschätzt. Die Begriffe sehen sich bis heute weithin verteufelt. Wenn die Lehrerausbildnerin allein schon deshalb die Lehrperson als autoritär tadelt, wenn die sagt: „Jetzt machen wir das und das, und der dort hinten passt jetzt auch auf!“ dann haben sich die Denkmuster ganz offensichtlich „ver-rückt“.

Dabei ist die vorgängige Klärung der Macht- und Respektverhältnisse im Unterricht natürlich elementar, das weiss jeder, der diesen Beruf beherrscht. Jahrzehntelang galt offiziell aber dies: Nicht mehr respektierte Lehrperson sollte und wollte man sein, sondern „Lernfreund“, „Bildungsberater, „teaching coach“.

Und es geht weiter: Angesichts der schönen Lehrmittel, der eleganten Methodiken, der edlen selbstverantworteten Lernformen, der Zusatzangebote, der Durchlässig-keiten und des elektronischen Lernens gingen Bildungspolitik und Teile der Lehrer-schaft lange Zeit davon aus, dass eine Unternehmung, die so schöne Schulhäuser, so gute Sportanlagen, so kindgerecht und modern ausgebildete Lehrerinnen und Lehrer habe, gar nichts Anderes als den puren Lernerfolg produzieren könne: „Die Schweiz hat immer noch das beste Bildungssystem der Welt“, heisst es im Regierungs-programm unseres Kantons. Herr Potemkin lässt grüssen.

DiskussionDampfer

4 Wie stellen Sie sich als Lehrperson auf? Das Missverständnis beginnt womöglich bereits mit der Berufswahl. Ganz sicher aber sieht es sich in den meisten Ausbildungen gefestigt. Was ist von der Qualität einer Ausbildung zu halten, wenn die auf Berufstauglichkeit getestete und durch unend-liche Praktika vorbereitete Junglehrerin nach drei Wochen Vollstelle den beruflich fin-alen Nervenzusammenbruch baut, weil sie offensichtlich untauglichen Lehrinhalten zu Macht und Autorität aufgesessen ist? Welche Konfigurationen müssten stattdessen einem Berufseinsteiger frisch ab Ausbildung empfohlen werden? Wovon sollte er allenfalls die Finger lassen? Hier ist der Versuch einer unvollständigen und vielleicht etwas überraschenden Aufstellung:

▪ Eine professionelle Distanz zur Aufgabe einrichten, zur Institution ebenso wie zu den Personen. Grenzen der Tätigkeit definieren und durchhalten.

▪ Ein ebenso erfolgversprechendes wie humanes Verhältnis zur Autorität und zur Macht im Unterricht entwickeln.

▪ Einsichten in die eingeschränkte Wirksamkeit und Nachhaltigkeit pädagogischer Unternehmungen gewinnen. Das schliesst eine gesunde Skepsis gegenüber Heilsre-zepten mit ein.

▪ Sich nicht bedingungslos dienstleistend anbieten. Man respektiert diesen Beruf nur, wenn er seine Forderungen durchsetzt.

▪ Sich Konfliktstärke und Resistenzen anschaffen: Unsinnigen Konflikten ausweichen ebenso wie notwendige aushalten und durchstehen können.

▪ Sich neben der Berufstätigkeit ein zweites Hochleistungsfeld erschliessen, in dem man echt gefordert wird (und das ist nicht das Hobby): in Politik, Wissenschaft oder Kunst, oder - warum nicht - in einer eigenen Firma.

▪ Grundsätzlicher Verzicht auf alles Jammern. Begriffe wie „Sieg“ oder „Niederlage“ streichen und durch ein kühles „Und was jetzt?“ ersetzen.

▪ Sich konsequent an den Konditionen der beruflichen Standesregeln ausrichten.

▪ Im Voraus klären, wo die persönlichen Toleranzen liegen: Was lässt man sich bie-ten, was nicht.

▪ Bestimmen statt sich bestimmen lassen. Sich fremdbestimmt ärgern oder aktiv mitbestimmen macht unter dem Strich fast den gleichen Aufwand, aber die Unter-schiede im Lebensgefühl und im Unterhaltungswert sind erheblich.

▪ Berufspolitisch wach bleiben. Wer die Nase in seinem selbstgewählten beruflichen Sandkasten stecken lässt, muss sich nicht wundern, wenn es ihm unverhofft auf den Rücken hagelt.

▪ Den Beruf seriös, aber locker als Spiel spielen, nur zum Beispiel: anständige Autos fahren, die Klamotten nicht nach Lehrer aussehen lassen und sportlich an seinem Handicap arbeiten.

DiskussionDampfer

5 Wie setzen Sie Ihren Berufsverband in Betrieb? Alle Personalverbände und Gewerkschaften haben heute einen zunehmend schwe-reren Stand: Die Organisationsgrade bröckeln, die traditionelle Arbeitskampfrolle lässt sich oft nur noch schwer durchhalten, weil die Problematiken komplizierter geworden sind und weil die Machtstrukturen sich verschoben haben, was andere Formen der Einflussnahme erfordert. Deshalb: Arbeitskampf-Romantik ade! Es ist nicht immer ganz einfach, unsere Mitglieder davon zu überzeugen, dass die beflaggte und mit Transparenten bestückte Strassendemo, an deren Teilnahme sie auf Anfrage dann doch verhindert sind, längst ihren Schrecken verloren hat und fast immer durch subtilere Formen des Arbeitskampfs ersetzt werden muss.

Zum zweiten: Solidaritäten in der Arbeitnehmerschaft sind allerorten am Verwittern, der Trend zieht sich durch die ganze lohnabhängige Berufswelt, vor allem in der jün-geren Generation, und wenn, dann findet man sich oft genug nur noch im bekennt-nishaften Suhlen in pädagogischen Heilsideen, aber immer seltener im harten Ein-satz für berufliche Rechte, Freiheiten und Sozialstatus.

Da ist natürlich auch der Megatrend der Arbeitswelt, hochgejubelt mit der Botschaft der Personalführungslyrik, mit einem „individuellen Menü“ könne man dem Arbeit-nehmer sehr viel besser gerecht werden. Das Individualisieren beginnt beim Lohn und geht über die Arbeitszeit bis hin zum Personalrecht. Die Verbände sehen sich dabei immer öfter ausgehebelt: Wo der Gesamtarbeitsvertrag, wo das umfassende Personalrecht schleichend durch in den Betrieben ausgehandelte oder verordnete Speziallösungen ersetzt wird, hat es ein Dachverband zunehmend schwer: Er kann dann oft nicht viel mehr tun, als die Selbstbehauptungskräfte kleiner betrieblicher Gruppen zu stärken.

Wenn da gegengehalten werden soll, dürfen die Leute nicht pennen. Viele pennen aber, darf ich es in dieser Deutlichkeit sagen! Zu viele Zeitgenossen, gerade auch in unseren Berufen, halten permanent die Siesta des „Gehtmichnichtsan“, oder dann träumen sie ihr pädagogisches „IchwilldochnurguteSchulegeben?“ und bemerken dabei leicht nicht, was um sie herum abgeht und dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis sie in ihrer heimelig eingerichteten Nische selber dran kommen.

In den Lehrberufen ist das im Moment beispielhaft an der Entwicklung an soge-nannten „teilautonomen geleiteten Schulen“ zu beobachten. In Kontrast zur schönen Grundidee stellen wir fest, dass vor Ort dann doch fast überall nur die bastardisierten Entwicklungen zum Zuge kommen. Noch heisst es „Teilautonomie“, aber es ist eben nie eine geworden. Die schönen Ideen von den „Schulen mit eigenem Profil“ vergammeln dann in einem Album namens Schulprogramm und im Schulleitbild auf Hochglanzpapier, hilflose Prospekte, die ausser ihren Verfassern niemanden wirklich beeindrucken, während in der Realität die öffentlichen Ansprüche knüppeldick auf die Schule hernieder prasseln und die neuen Schulleitungs-Fürstentümer errichtet werden, beispielhaft in Baselland:

Immer mehr Schulleitungen fangen deshalb an, ihre mitarbeitenden und unterstellten Lehrerinnen und Lehrer mit einer Packung aus Führungslyrik und pädagogischem Gestaltungsdrang zu traktieren: Eine Arbeitsgruppe jagt die nächste, die Sitzungs-kadenz nimmt bedenkliche Formen an, da wird evaluiert, intern und extern, es wird unterrichtsentwickelt und qualitätsgesichert, humane Schule, gesunde Schule, geschlechterbewusste Schule – und immer öfter wird dabei – „im Interesse der guten Sache – oder wollt ihr etwa keine gute Schule?“ - die Fangfrage hat ihren Charme - das kantonale Personalrecht zulasten der arbeitenden Menschen mit Füssen getre-ten.

So kommt eine unheilige Allianz politischer Kräfte zustande: Jener nämlich, die mit ihren Ideal-Rezepten der Schulentwicklung die Gesellschaft auf den Kopf stellen und definitiv heilen wollen und die für einmal und nur in diesem einen Punkt mit den Kameraden im Boot sitzen, welche die Lehrerinnen und Lehrer endlich durch Top-down-Vorgesetzte gedeckelt und diszipliniert sehen wollen.

Diese historisch erstaunliche Koalition von Rezepten ergibt dann den unsäglichen Mix an Unfug, der sich seit Jahren in Qualitätssicherungs- und Schulentwicklungsunter-nehmungen austobt. Bedient wird die Szene durch die ständigen Zulieferungen von Pädagogikplanern, Arbeitsstäben und selbsternannten Fachleuten, die sich dadurch in Amt und Brot halten. Zusätzlich wird die Lehrerschaft gefördert, betreut, inter- und supervisioniert, unterstützt und therapiert, dass sich die Balken biegen. In welchem vernünftigen Beruf in freier Wildbahn gibt es das sonst? Kein Wunder, wenn in einer fassungslosen Öffentlichkeit die Köpfe geschüttelt werden und die Frage auftaucht, ob Lehrerinnen und nLehrer nicht doch ein wenig seltsame Leute seinen. Dann allerdings sollte man nicht die Verbände prügeln, wenn sie diese Fehlentwicklungen registrieren und monieren, sondern einen Blick in den Spiegel wagen.

Den Lehrpersonen entzieht man mit dem „Gute Schule“-Argument subtil die Rechte und die Freiheiten. Dieses Ansinnen ist ein bisschen hinterhältig, und ihm zu wider-sprechen, fällt vielen Lehrerinnen und Lehrern natürlich schwer – die wollen nämlich wirklich eine gute Schule!

Die kann aber, und Naivität hat hier tatsächlich keinen Charme, wenn wir uns als Berufsleute die persönliche Selbstachtung erhalten wollen, nur funktionieren, wenn es an den Schulen weiterhin die Toleranz in den pädagogischen Ansichten, die Frei-heiten in der Unterrichtsgestaltung, in der Wahl der pädagogischen Formen und die Ermessensspielräume dazu gibt, und wenn Klarheit darüber besteht, was Lehrerinnen und Lehrer ausserhalb ihres Unterrichts alles – und was eben dezidiert nicht – auch noch erledigen sollen.

Wenn wir uns mit dieser Gute Schule-Prämisse nicht in den Schwitzkasten nehmen lassen wollen, müsste es kühl heissen: „Wir wollen unter gesicherten Arbeits-bedingungen, die an Pflichten, aber auch an Rechte gebunden sind, professionell unsere Arbeit machen, und wenn dann, was zu erwarten ist, eine gute Schule dabei rauskommt, soll es uns recht sein.“

Diesen Entwicklungen kann nur ein Verband entgegentreten, weil er eben nicht mit Massregelungen und Verweisen eingedeckt werden kann, weil er nicht zu verbieten ist, weil er nicht, intern und extern evaluiert, auf Bewährung gesetzt und entlassen werden kann, weil seine Träger nicht zu entfernen und nicht abzuschaffen sind. Ich nehme doch stark an, dass auch Ihre Verbandsfunktionäre per Personalgesetz in Ihrer Verbandsarbeit vor Repressalien geschützt sind.

Weil sich das so entwickelt, machen sich die Personalverbände, wenn sie die Ohren nicht flach legen wollen, natürlich immer öfter unbeliebt: Öffentlich macht man den Verband und seine Repräsentanten schlecht, indem man diese desavouiert und diffamiert, indem man genehme und pflegeleichte Arbeitsgruppen favorisiert und mit Freundlichkeiten bedenkt, indem an das pädagogische Gewissen gutgläubiger - soll ich sagen naiver? - Lehrerinnen und Lehrer appelliert wird, an Vertragsindianer, die pädagogisch motiviert und gebauchpinselt das Stammesgebiet verkaufen: „Unsere Schule soll doch einfach die beste werden“, sagt der fürstlich Hof haltende Rektor eines Sekundarstufe II-Betriebs, bevor er durchgibt, wie er sein - ohne das Personal durch Mitsprache zu belasten – selbstgestricktes Mitarbeitergespräch zu handhaben gedenke und damit seine vor der nächsten Befristung ihres Arbeitsvertrags bangen-den schweigenden Mehrheiten huldvoll lenkt.

Dazu kommt: Womöglich ging es uns jahrzehntelang zu gut. Das hat Bequem-lichkeiten erzeugt, vor allem aber ein konsumbestimmtes Anspruchsdenken, das sich auf Kosten der beruflichen Solidarität rasend schnell ausbreitet:

Dabei ergeben sich dann solche Denkhaltungen:

▪ „Wozu soll ich mich solidarisiert in einen Verband einordnen, wenn nicht unmit-telbar die konkreten Vorteile daher purzeln?“ Oder: ▪ „Ich bezahle einen Beitrag und erwarte daher, dass der Verband alle meine Pro-bleme löst und Erwartungen erfüllt, wie ich sie beim Konsum eines DVD-Players auch voraussetze, und zwar subito!“ Oder: ▪ „Ich interessiere mich nicht für meinen Lohn und meine Anstellungsverhältnisse, das halte ich für prinzipiell obszön, ich will nur meinen Frieden, wichtig ist mir vor allem die gute Schule und mein Einsatz für das Kind. Ich bin ein Pädagoge und lasse mich nicht in die Niederungen berufspolitischen Denkens hinab, da ist immer alles so negativ!“

Wenn darauf eintreten, haben Sie schon verloren.

Und so stellen Sie Ihren Verband auf:

1 Erstens: Sie brauchen im Innern Ihres Verbandes unbedingt den tiefen per-sönlichen Frieden. Wo sich die Leute zanken, geht viel zu viel Energie den Kamin hinauf. In Ihren Vorstandssitzungen putzt keiner den andern herunter, man lässt sich ausreden, keiner wird überfahren, die Thematiken der Diskussion halten Kurs. Ent-scheidungsprozesse sind transparent angelegt.

2 Ihre Grundhaltung ist eine solidarische. Diese halten Sie vor allem dann hoch, indem Sie als Dachverband die ganze Palette von Lehrpersonen organisieren. Diese Einstellung tragen die Funktionäre Ihrer Unterverbände in die Basis hinaus. Die stufenübergreifende Solidarität ist die Stärke des Verbands.

3 Ihr engstes exekutives Führungspersonal - Vorstand, Geschäftsleitung, Sekretariat, Geschäftsstelle – suchen Sie selber und gemeinsam nach den Kriterien der mensch-lichen und fachlichen Qualifikation aus. Nichts sonst zählt, keine Stufen- und keine Regionalvertretungen. Ergänzen Sie solche Gremien nur mit Personen, deren Tem-peramente und Charaktere – problemlos auch gegensätzliche und sich daher ergän-zende - zu den bisherigen passen.

4 Ihr Verband ist auf Subsidiarität angelegt. In einem geklärten Rahmen definieren Ihre Sektionen, oft Fachverbände mit autonomer Rechtspersönlichkeit, die Bedürfnis-se ihrer Stufe oder Fachrichtung, entwickeln daraus Projekte und legen diese den Verbandsgremien vor. Wenn allfällige Rücksichtnahmen auf angrenzende Interessen geklärt sind, geht es an eine Umsetzung, die mit dem ganzen Gewicht und mit den Ressourcen des Dachverbands ausgestattet ist. Die Gegenleistung: Unter keinen Umständen marschieren Ihre Sektionen ohne Absprache und Einvernehmen mit dem Dachverband los. Damit erreichen Sie, dass man Ihre Organisation nicht spalten kann.

5 Sie klären das Verhältnis zwischen zentraler Führung und der Autonomie des Fachverbands. Sie entwickeln die Parameter Ihrer Führung gemeinsam und lassen sie durch ihre Verbandsgremien und die Basis in einem Detaillierungsgrad manda-tieren, der Ihnen in der Umsetzung die unerlässlichen Handlungs- und Verhandlungs-spielräume lässt. Sie handeln und stellen Ihr Handeln unter einen geklärten verbandsdemokratischen Billigungsvorbehalt.

6 Ihnen ist klar, dass die Gegenseite von Ihnen Wohlverhalten erwartet. Wenn Sie sich in dieses Verhaltensmuster einfügen, ist für Sie alles ausgeschlossen, was über milde Protestrhetorik hinaus geht. Ihnen ist auch klar, dass Sie dann das Spiel Ihrer Widersacher spielen und eigentlich gar nicht anzutreten brauchen. Ihre Verbandstä-tigkeit können Sie dann getrost auf das Blumenüberreichen und Kolleginnenküssen beschränken.

7 Ihnen ist bekannt, dass man Sie kameradschaftlich sozial einzubinden versucht. Man drängt Ihnen das Du auf, der Herr Generalsekretär spricht bei Bedarf auch schon mal von seinen „lieben Kollegen“, wenn der doch nur den Sozialpartner meint, dazu gibt es Nachtessen, Aperos, Reisli.

8 Ihnen ist klar, dass die Gegenseite versuchen wird, ihrem Verband die Köpfe weg-zuengagieren, indem man diese zu Schulinspektoren macht, zum Beispiel, oder indem man ihnen Projektaufträge zuhält. Sie stellen in Rechnung, dass sich beim Wechsel aus einer Verbandsfunktion in ein hoheitliches Amt manchmal auch die Charaktere verbiegen. Sie richten sich darauf ein, und entsprechend reduzieren Sie Ihre Erwartungen.

9 Ihnen ist bekannt, dass man versuchen wird, Ihre Anliegen auszusitzen. Die Bildungsadministration ist grundsätzlich kein Betrieb, der, weil er keinen vernünftigen Output zustande brächte, pleite gehen kann. Wenn die Diskussion unangenehm werden könnte, weil es endlich zur Sache geht, wird das Thema gern abgebrochen und schubladisiert. Wird die Thematik nach einem Dreivierteljahr dann wieder hervorgezaubert, können Sie sich womöglich über die Behauptung wundern, dass man ja alles, was strittig gewesen sei, mit Ihnen schon einvernehmlich besprochen und geregelt habe. Wenn Sie dagegen Widerspruch einlegen, stehen Sie leicht als Querulant da.

10 Sie wissen, dass für eine Bildungsadministration nichts beruhigender ist als ein Verband, der „konstruktiv mitarbeitet“. Gemeint ist dies: Die Vernehmlassungen, für die sie sich in der Einleitung Ihrer Antwort auch noch artig bedanken, sind für den Aktenordner. Kein Mensch wird sie lesen, geschweige denn beachten. Ihnen ist klar, dass Sie keine Vernehmlassung schreiben müssen, wenn Sie sie nicht publizistisch und durch Verhandlungsdruck begleiten wollen. Deshalb Sie müssen unbedingt bereits in die Vorbereitungs-, aber auch in die Auswertungsarbeit einbezogen wer-den.

11 Mitsprache und Mitarbeit wird man Ihnen nicht hinterher tragen. Sie müssen sie immer wieder anfordern und durchsetzen.

12 Sie wissen, dass in kontroversen Abläufen nur etwas zu bewegen ist, wenn es Ihnen gelingt, Ihre Gegenseite emotional aufzumischen, zu deutsch: wütend zu machen. Sie sind darauf gefasst, dass man Ihnen dann den Stilvorwurf um die Ohren haut: „Wir sind so enttäuscht von Ihnen“, heisst es dann: „Wir hatten gedacht, wir hätten so ein schönes Verhältnis…!“ Spätestens dann, wenn der Gegenseite das Pulver ausgeht, tönt es so: „Ihr Ton ist so polemisch, zynisch, so negativ.“ Jetzt wissen Sie definitiv, dass Sie auf dem richtigen Weg sind. Die Evolution hat sie nicht an die Spitze eines Verbandes gestellt, damit man Sie lieb hat. Sie sind nicht dazu da, Hofberichterstattung für die Bildungsadministration zu machen. Dafür gibt es Jour-nalisten.

13 Sie sorgen dafür, dass es Ihrem Verband finanziell gut geht. Mit mutigen Sonder-beiträgen äufnen Sie eine Kampfkasse und eine Rechtsschutzkasse. Damit Sie handlungsfähig sind, brauchen Sie Geld, das die Exekutive jederzeit geklotzt ein-setzen kann. Ohne Geld geht nichts. Geld haben verschafft Respekt. Geld macht sexy. Ihre Finanzabläufe sind bis in die kleinsten Spesen hinein unangreifbar in Ord-nung. Kontrollieren lassen Sie das durch eine professionell arbeitende Treuhandfir-ma: Nichts schädigt Ihren Ruf und lähmt Ihre Handlungsfähigkeit mehr als unan-genehme Vorgänge und Gefühle um Fränkli.

14 In Ihren Führungsgremien entwickeln und trainieren Sie die Fähigkeit, ungnädige Reaktionen und Retourkutschen auszuhalten und angemessen darauf zu reagieren. Drohungen und Liebesentzüge gehören zu Ihrem täglichen Brot. Sie sind weitgehend unvermeidlich und dadurch legitimiert, dass Sie es sowieso auf keinen Fall allen Leuten recht machen können.

15 Sie sind sich bewusst, dass durch die Lehrerschaft ein Ideologie-Riss zwischen eher idealistischen und eher realistischen Haltungen geht. Ihnen ist klar, dass die bis-herigen Erfahrungen der Lehrerinnen und Lehrer mit ihren Berufswirklichkeiten zwei unterschiedliche Negativhaltungen bewirken können:

Zum einen: Die innere Emigration, das Desinteresse an Information, der Rückzug auf eine eng begrenzte Unterrichts- und Fachwelt, und eine Gleichgültigkeit gegenüber Solidari-täten.

Zum andern: Die Bereitschaft, über alle Schmerzgrenzen hinweg „alles fürs Kind“ zu leisten, be-rufspolitische nüchterne Positionen als Beleidigung des eigenen Einsatzes zu werten, ja sogar Pensenreduktionen und damit Lohnverzichte einzugehen, nur um der selbst gesteckten Erwartungshaltung gerecht zu werden, und schliesslich die Weigerung, sich berufspolitische Denkprozesse zu gestatten.

Beide Haltungen sind hochgradig Burnout-gefährdet.

16 Sie stellen in Ihrem Verband alles Klagen und Jammern ab: Niemanden ausser-halb der Lehrerschaft beeindruckt das Belastungsgeschwafel nur im geringsten. Sie wenden sich entschieden dagegen, dass eine sich immer mehr ausbreitende Betreuungs-, Förder- und Therapieindustrie Ihnen die Leute zu Berufs-Patienten de-gradiert und diese damit für eine seriöse Auseinandersetzung mit den Problematiken des Berufsstandes disqualifiziert.

17 Sie klären für sich die Begrifflichkeiten von Sieg und Niederlage. Für Sie gibt es weder das Eine noch das Andere, sondern nur Resultate, meistens Zwischen-resultate. Diese stellen Sie in Beziehung zu den Verhältnissen, die zu erwarten ge-wesen wären, wenn Sie nichts unternommen hätten. Die Betrachtung fällt fast immer positiv aus.

DiskussionDampfer

6 Welcher Plot führt Sie in eine unterhaltsame Zukunft? Wie sieht jetzt der Garten aus, den sich Ihr Verband bestellen kann, wenn darin ein lustvolles Spielen stattfinden soll?

▪ Sie arbeiten an einem Anstellungsrecht, das Ihre Position als Arbeitnehmer ange-messen absichert.

▪ Sie streben vorrangig gesicherte kantonale und unbedingt in die Gesamtheit der kantonalen Angestellten eingebundene Lohnstrukturen an.

▪ Sie regeln Ihre Arbeitszeit. Dabei bewahren Sie sich einen vor Raubbau geschützten Anteil für Unterricht und Vor- und Nachbereitung. Den Rest belegen Sie über Agen-daführung. Das schützt Sie vor einem weiteren Ausufern der Ansprüche an die Schu-le, es schützt Sie aber auch vor Selbstausbeutung.

▪ Sie bestehen auf einem gleichberechtigten Verhältnis zu Ihren Vorgesetzten. Sie sind nicht Untertan, sondern Partner in einem Arbeitsvertrag. Das wirkt sich unmit-telbar auf ein allfälliges Mitarbeitergespräch aus.

▪ Sie sorgen dafür, dass die Lehrpersonen und die Schulen angemessene und rechts-sicher anzuwendende Kompetenzen im Disziplinbereich wahrnehmen können.

▪ Sie stellen nachdrücklich und offen die Frage nach dem effektiven Lernoutput, Sie stellen sich den Messungen und sichern den professionellen Umgang mit den Resul-taten. Dazu stellen Sie die Verantwortlichkeiten klar: Sie garantieren einen fachlich einwandfreien und einen professionellen Schulbetrieb, und das war’s.

▪ Sie erwerben sich endlich einen nachhaltigen Einfluss auf die Aus- und Weiter-bildung der Lehrpersonen, wie das in anderen Berufsorganisationen längst Standard ist. Dabei beachten Sie stets auch die Folgen für die Lohnfindung.

▪ Sie erstreiten sich eine fachlich hochstehende Weiterbildung. Diese ist natürlich vom Arbeitgeber zu bezahlen, von wem denn sonst! Ihre Aufwendungen für die Schule im privaten Bereich weisen Sie aus und machen Sie abhängig von einer ange-messenen Anerkennung und Abgeltung.

Wenn das alles geschafft ist, gehen Sie zum Mittagessen. Jetzt zum Beispiel. Ich hoffe doch schwer, Sie bekommen etwas Gutes.

DiskussionDampfer

 
© A. Streiff, Oberstufenlehrer. Alle können eigenverantwortlich mitmachen, habt etwas Mut! last change: 6. November 2006